Inkontinenz ist ein komplexes Problem. Harninkontinenz und Stuhlinkontinenz beeinflussen immer auch die Psyche des Betroffenen und haben psychosoziale Auswirkungen. Hilfe bei Inkontinenz bedeutet deshalb nicht nur eine gute pflegerische Versorgung.
Es hat ein langes Jahr gedauert, bis sich diese ältere Frau ihrer Tochter anvertraute. Nicht ohne Grund. Immer noch ist das Symptom der Harninkontinenz gesellschaftlich äußerst diskriminierend. Wer inkontinent ist, gerät leicht in den Verdacht, in seiner geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt zu sein.
In diesen Vorurteilen dürfte auch der Schlüssel dazu liegen, warum Harninkontinenz trotz aller intensiven Aufklärungsbemühungen von Urologen, Gynäkologen, Fachverbänden und der in diesem Bereich tätigen Industrie noch immer ein Tabuthema ist. Aus Schamgefühl wird die Inkontinenz von Betroffenen möglichst lange verschwiegen – oft selbst dem vertrauten Hausarzt gegenüber. Das Unvermögen, die Blasen- oder auch Darmentleerung zu kontrollieren, wird von den Betroffenen als kränkend empfunden und verletzt deren Selbstwertgefühl. Die Folge ist häufig ein sozialer Rückzug mit Isolation und den verschiedensten Beziehungsstörungen, vor allem mit den nächsten Angehörigen.
Wenn Angehörige mitbekommen, was dem ihnen anvertrauten Angehörigen widerfährt, sind sie zumeist ebenso hilflos wie der Betroffene selbst. Dabei gibt es keinen Unterschied zwischen jüngeren und älteren Inkontinenten und ihren Angehörigen. Bei pflegenden Töchtern bzw. Schwiegertöchtern kommt noch eine eigentümliche Reaktion hinzu, die wohl mit der empfundenen Umkehrung des Eltern-Kind-Verhältnisses zusammenhängt: Sie empfinden das Einnässen ihres Angehörigen häufig als persönliches Versagen. Die Schweigemauer, die die inkontinenten Menschen um sich errichten, schließt dann den pflegenden Angehörigen mit ein. Sie laufen dabei sogar Gefahr, ihre eigenen sozialen Beziehungen aufzugeben, um das Problem der Inkontinenz zu vertuschen.
Die Inkontinenz der Eltern ist so oft der buchstäbliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Vieles können die Töchter verkraften: das ständige Aufpassen müssen bei verwirrten Menschen, die Pflege der Bettlägerigen, das Angebundensein, den fehlenden Urlaub. Kommt aber noch Inkontinenz hinzu, kann diese Stufe der Belastung nicht mehr aufgefangen werden und führt häufig fast schlagartig zu einer totalen Überforderung. Für jede zweite Übersiedelung in ein Pflegeheim ist Inkontinenz der Grund.
Harninkontinenz darf kein Altersschicksal sein
Harninkontinenz – von Laien auch als Blasenschwäche bezeichnet – kann grundsätzlich in jedem Alter auftreten. Alterstypische Veränderungen und Krankheiten im Alter bringen es jedoch mit sich, dass Harninkontinenz mit höherem Lebensalter gehäuft auftritt. Nach Zahlen der Deutschen Kontinenz Gesellschaft leiden in Deutschland etwa fünf Millionen Menschen an einer behandlungs- und versorgungsbedürftigen Harninkontinenz. Schätzungsweise sind davon zwei Millionen älter als 60 Jahre, d. h. dass 11 % der Senioren dieser Altersgruppe betroffen sind, bei den über 80-Jährigen sogar 30 %.
Eine nach wie vor weit verbreitete Vorstellung ist nun leider, dass Harninkontinenz im Alter als Folge der altersbedingten geistigen und körperlichen Leistungsverminderung hingenommen werden muss, und bei Frauen aufgrund ihrer Anatomie sowieso. Dies kann aber so heute nicht mehr akzeptiert werden. Harninkontinenz ist auch im höheren Alter nicht „normal“, sondern, wie in jüngeren Jahren auch, Anzeichen (Symptom) für eine mehr oder weniger ausgeprägte Störung des unteren Harntraktes, die grundsätzlich auch im Alter noch beeinflussbar ist. Folge dieser falschen Vorstellung ist, dass viele Betroffene keinen Arzt aufsuchen, weil sie ihre Harninkontinenz als ein zu kleines gesundheitliches Problem ansehen und sich zudem genieren. Nicht selten sind aber auch Ärzte der Ansicht, dass Harninkontinenz im Alter nicht mehr „kuriert“ werden kann.
Hilfe bei Inkontinenz: nicht resignieren, sondern handeln!
Beim alten Menschen hat Harninkontinenz nur selten eine Ursache. Meist ist es eine Kombination altersbedingter Abbauprozesse mit verschiedenen anderen Erkrankungen wie etwa Diabetes mellitus, Arteriosklerose oder Parkinson. Gerade das Zusammentreffen mehrerer Krankheiten (Multimorbidität), was in der Regel auch die Einnahme mehrerer Medikamente mit sich überschneidenden Wirkungen zur Folge hat, trägt nicht selten zur Inkontinenz bei. Dies alles kompliziert die Diagnose, macht aber eine Behandlung nicht von vorneherein unmöglich.
Und selbst wenn es dabei natürlich nicht immer gelingt, der inkontinenten Person zur vollständigen Kontinenz zu verhelfen, kann auch die sogenannte „soziale Kontinenz“ ein erstrebenswertes Ziel sein. Sie bedeutet, dass der Betroffene für Stunden kontinent ist, was oft ausreicht, ohne Angst vor peinlichen Zwischenfällenden täglichen Aktivitäten nachzugehen und am gewohnten Leben festzuhalten.
Eine Verbesserung der Lebenssituation des Betroffenen und seiner Angehörigen lässt sich aber nur erreichen, wenn beim Einzelnen und in der Gruppe ein ausreichendes Wissen zum komplexen Problem der Harn- und gegebenenfalls der Stuhlinkontinenz vorhanden ist. Denn nur damit kann sich die Einstellung zur Inkontinenz verändern: weg vom passiven Akzeptieren der Situation, hin zu einem aktiven Umsetzen für patientenindividuelle Lösungen.